Nina Paarmann (2015/2016): Die Bedeutung von „Geschlecht“ im kulturellen und politischen Leben westafrikanischer Studierender

Abgeschlossen wurde die auf empirischen Studien bei Geschichtsstudierenden (Interviews) beruhende Master-Arbeit von Nina Paarmann im Herbst 2016.

Forschungsdesign und Quellenkorpus

Ich habe im Herbst 2015 während einer siebenwöchigen Forschungsaufenthaltes im Rahmen der Recherche für meine Masterarbeit in der Universitätsstadt Winneba/ Ghana (Westafrika), unter der Leitung von Prof. Dr. Bea Lundt, 25 qualitative Interviews mit Lehramtsstudierenden durchgeführt, in welchen ich der Frage nach den unterschiedlichen Lebenswelten junger Männer und Frauen nachgegangen bin. Bei den Befragungen standen die kulturelle Zugehörigkeit, äußere und innere Einflüsse sowie die Perspektiven der Zielgruppe im Fokus meines Interesses.

Hinzu kamen Experteninterviews mit afrikanischen WissenschaftlerInnen aus Westafrika, mit welchen ich die Ergebnisse der Interviews der Studierenden sowie die aktuellen Forschungsdiskurse diskutiert habe.

Ergebnisse

Alle Studierenden erwähnen die Einflüsse ihre „communities“, welche sowohl die Kernfamilie als auch einen weiter gefasstes soziales Umfeld umfassen (Dorfgemeinschaft, Adoption), als ausschlaggebend für ihre Sozialisation als Mann oder Frau. Zudem nennen die Befragten „western  education“ und das Erlernen von „political and economical leadership“ als besonders einflussreich für ihr Genderkonzept und bewerten beides positiv.

Die Studierenden heben hervor, dass die einzelnen Arbeitsfelder von weiblichen und männlichen Familienmitgliedern grundsätzlich zwar unterschiedlich sind, doch für beide Geschlechter als „gleichwertig“ gelten, „they support each other“. Die Arbeitsteilung bezieht sich vor allem auf Aufgaben des Haushaltes, wobei dieser i.d.R. einen weiterführenden Personenkreis umfasst, als die „nuclear family“.

Auswertung und Diskussion

Die Studierenden unterscheiden zwischen „Community“ und „Society“. Offenbar nimmt die Geschlechteridentität in den beiden zentralen Bereichen der engeren sozialen Umwelt und der politischen Realität des Landes verschiedene Formen an. Dies könnte ein Hinweis sein darauf, dass die Grenzen der Identitätsbildung in diesen jeweiligen Räumen durchlässig sind und je nachdem, in welchem Bereich man sich gerade bewegt, differieren. Auffallend ist, dass die Befragten den Begriff „Ethnie“ als einen prägenden Faktor für ihre Identitätsbildung nicht nennen.

Bemerkenswert ist auch, dass keiner der Studierenden eine rein biologisch bedingte bipolare Unterscheidung von Mann und Frau als Unterscheidungsmerkmal dafür nennt, dass den beiden Geschlechtern entsprechende Lebenswelten zugeordnet werden. Sie argumentieren vielmehr mit sozialen Kriterien, etwa der kulturellen „inheritance“ und „lineage“ oder auch mit dem Alter und der entsprechenden Autonomie.

Besonders erwähnenswert scheint mir auch die zentrale Funktion der „formal education“ zu sein, welche die Studierenden als zentralen Aspekt für die „Gleichstellung“ von Mann und Frau im gesellschaftlichen und politischen Leben benennen. Die postcolonial Studies zum Thema Gender in Afrika betonen dagegen besonders die koloniale Tradition westlicher Schulbildung und deren Einflüsse auf eine gesellschaftliche Geschlechtertrennung. Diese Theorien können durch meine Studierendeninterviews nicht bestätigt werden. Vielmehr scheint eine globale Orientierung, also der Blick „nach vorne“ für die junge Generation wichtiger und aktueller zu sein, als die koloniale Vergangenheit und ihre Auswirkungen.

Die Studie soll ab Herbst 2016 vertieft werden.

(Text und Layout Nina Paarmann)