Projekt zum globalen Lernen in Schleswig-Holstein

Kinder basteln Spielzeug aus Müll

Das „Müllprojekt“ in einer 4. Klasse einer Grundschule in Schleswig-Holstein 2012
– dem Vorbild der Wanderausstellung „Global Players“ folgend –

 

Projekt von Nina Paarmann, Studierende der Europa-Universität Flensburg

 

Zum Hintergrund: die „Global Players – Spielzeuge aus Afrika“

Die Idee, mit Grundschulkindern in Deutschland ein Projekt durchzuführen, in dem Spielzeuge aus Müll gefertigt werden sollten, folgte dem Vorbild der „Global Players –Spielzeuge aus Afrika“, einer Ausstellung, die sich insbesondere mit von afrikanischen Kindern aus Reststoffen gefertigten Spielzeugen beschäftigt. Diese Spielzeuge, die in Glasvitrinen für Besucherinnen und Besucher präsentiert werden, werden ergänzt durch Hintergrundinformationen zu den Künstlerinnen und Künstlern, deren Lebenswelten und der Entstehungsgeschichten der Objekte. Die Wanderausstellung „Global Players“ kann kostenfrei von dem Bündnis „Gemeinsam für Afrika“ entliehen werden. Sie wird in der Regel in ein umfangreiches Rahmenprogramm eingebettet; auch Schulen und/ oder andere öffentliche und soziale (Bildungs-) Organisationen werden eingebunden. Es wird versucht, bei Jung und Alt ein Bewusstsein für die Alteritäten dieser Welt zu schaffen.

Seit 2003 sammelt die Journalistin Birgit Virnich die Kunstobjekte, die sie den Kindern abkaufte und sich zu den jeweiligen Spielzeugen die Entstehungs- sowie die Lebensgeschichten der Kinder erzählen ließ. Die Sammlung umfasst Objekte aus den afrikanischen Ländern Kenia, Tansania, Ruanda, Kongo, Eritrea, Mosambik, Sudan, Liberia, Mauretanien, Äthiopien, dem Senegal, Mali, Nigeria, Uganda, dem Tschad, Togo und von Madagaskar. Sie werden seit 2009 – zum ersten Mal im Deutschen Technikmuseum in Berlin – ausgestellt. Ein Katalogband [1] dokumentiert die Bestände und kommentiert sie in verschiedenen Beiträgen. 

„Alle Spielzeuge entspringen“, so Wolfgang Jaman, Vorstandsvorsitzender von Gemeinsam für Afrika e.V., „der Unschuld, aber auch der Lebensfreude, die sich diese Kinder trotz ihrer zum Teil katastrophalen Lebensumstände bewahrt haben.“[2] Damit unterstreicht er, dass die Kinder nicht, wie es oft in den Medien verbreitet wird, die hilflosen Opfer darstellen; sie sind aktive Akteure, die in der Lage sind, sich und ihr Leben frei und eigenständig zu gestalten.

 „Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ Dieses Zitat von Antoine de Saint-Exupéry, so beschreibt es Virnich, spiegelte für sie die Geschichten wieder, welche die Kinder durch die von ihnen sehr liebevoll und detailreich gestalteten Objekte auszudrücken versuchen.

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Auf diesem Foto: ein Hubschrauber aus Badelatschen – dem Himmel so nah. Gefertigt wurde dieses Symbol der Freiheit von einem 15 jährigen Jungen aus Monrovia/ Liberia. Gefunden unter: http://www.koelner.de/wp-content/uploads/2013/06/global-players-500×362.jpg, abgerufen am: 25.08.2014

Sie sei immer beeindruckt gewesen, so führt sie aus, wie „stark die Ausstrahlung dieser Spielzeuge ist und wie unverstellt sie den Blick der Kinder und Jugendlichen wiederspiegeln“.[3] „Die Kinder verwandelten Alltagsmüll in kleine Kunstwerke und zeigten mir damit eine Seite Afrikas, die fern ist von allen Klischees über den Kontinent als Verlierer und Versager.“[4]

Die Objekte dokumentieren keine von den Kindern real erfahrbare Welt; vielmehr erzählen die Spielzeuge von den Träumen der Kinder nach einer anderen Zukunft. Nahezu alle Spielzeuge zeigen Objekte, die Mobilität wiederspiegeln: Autos, Hubschrauber, Fahrräder oder andere Phantasiemaschinen, um den Traum von fernen Welten ein Stück weit in ihren erfahrbaren Alltag zu integrieren. Diese Brücke zwischen der realen und der phantasievollen Lebenswelt, wird durch die kreative Materialisierung der Träume in Form von Spielzeugen aufrechterhalten und die „Ferne“ so erreichbar gemacht. Ferner zeugen die sehr detailliert gefertigten Spielzeuge von einem Umfangreichen Technikwissen der Kinder.

Auch Prof. Yaw Ofosu-Kusi, „unser“ Gastprofessor aus Ghana an der Europa-Universität Flensburg 2013-2014, Ökonom und Kindheitsforscher, verweist immer wieder darauf, wie kreativ – insbesondere Slumkinder in Ghana – mit den teils widrigen Bedingungen umgehen, in denen sie Leben.

 

 

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Dieses Bild zeigt einen Minibus, gefertigt aus Pappresten und Kronkorken. Der Künstler dieses Spielzeugs ist der 10 jährige Mohammed Salé, ein Flüchtlingskind aus dem Tschad. Gefunden unter: http://www.gemeinsam-fuer-afrika.de/wp-content/uploads/2012/07/Tomatenauto-550×365.jpg, abgerufen am: 25.08.2014

 

Nachhaltigkeit stellt den zweiten zentralen Aspekt des Leitgedankens der Ausstellung dar; denn Müll, insbesondere Plastik und Konserven, führen auf globaler Ebene zu großen Problemen. Mehr als 270 Tonnen Abfall der synthetischen Stoffe fallen täglich alleine in dem westafrikanischen Land Ghana an, nur 2% davon werden von Konzernen industriell recycelt.[5] Die Spielzeuge erfüllen entsprechend auf verschiedenen Ebenen eine Vorbildfunktion und die Kinder zeigen einen sinnvollen Weg auf, dem Nutzlosen wieder einen Wert zu verleihen.

Nähere Informationen zu diesem Projekt, eine Übersicht über die bisherigen Orte, in denen die Wanderausstellung zu sehen ist, Hintergrundinformationen zu den Künstlern und Künstlerinnen der Spielzeuge sowie weitere Projekte des Bündnisses „Gemeinsam für Afrika e.V.  finden Sie online unter: http://www.gemeinsam-fuer-afrika.de/was-wir-tun/global-players/

 

Das Müll-Projekt in Schleswig – Holstein: Überlegung – Idee – Umsetzung

Die Idee der „Global Players – Spielzeug aus Afrika“ habe ich im Zuge eines interkulturellen Master-Seminars bei Prof. Dr. Bea Lundt an der Europa-Universität Flensburg aufgegriffen, in welchem auf diese Ausstellung hingewiesen wurde, und ein eigenes Projekt mit einer 4. Klasse einer Grundschule durchgeführt.

Warum sollte man in Deutschland Spielzeug aus Reststoffen fertigen, wo es doch an jeder Straßenecke prunkvoll umworbene Beschäftigungsobjekte zu kaufen gibt?

Der Leitgedanke bei meinem Projekt war, Schülerinnen und Schüler in Schleswig-Holstein für die Alteritäten dieser Welt zu sensibilisieren und sie durch die aktive Teilnahme an den Lebenswelten anderer Kinder an die Vielseitigkeit an Lebenskonzepten heranzuführen. Die Umsetzung der Wanderausstellung „Global Players – Spielzeuge aus Afrika“ und die Vorstellung des dazu herausgegebenen Katalogbundes schien mir an dieser Stelle geeignet, die durch „Fremdheit“ erzeugten Vorurteile abzubauen. Verständnis und Akzeptanz wachsen mit dem Bewusstwerden – einem Bewusstsein dafür, dass Menschen „anders“ sein dürfen, ja sogar müssen! Es ist wichtig den Mut zu entwickeln, Menschen kennenzulernen, die sich und ihr Leben anders definieren, als man es in der eigenen Lebenswelt gewohnt ist. Anderssein, ja – aber ohne Wertung!

Neben dem Wissen um die Alteritäten sollte auch ein Bewusstsein für die Gemeinsamkeiten erzeugt werden. Denn Müll erweißt sich als bedeutsames globales Problem. Die Wiederverwertung von Wertstoffen ist also nicht nur eine Notlösung armer Kinder, sondern ein sinnvolles Vorgehen für alle. Zugleich erschließt es neue Wege, Leben in das Kinderzimmer zu bringen und die Abhängigkeit von der Konsumwelt zu überwinden. Das Vorbild der Kinder in Afrika sollte als Angebot für den Umgang mit dem scheinbar Wertlosen Reststoff auch in Deutschland dienen. Damit kann eine Verbindung zwischen den beiden Kontinenten hergestellt werden.

Wichtig ist bei einer solchen Unterrichtsreihe allerdings, den Eindruck zu vermeiden, als seien alle afrikanischen Kinder arm, alle deutschen dagegen reich. Auch hier galt es, ein Bewusstsein von der Vielfalt der Lebensweisen auf beiden Kontinenten zu fördern.

 

Durchführung der Unterrichtseinheit

In einem anfänglichen Brainstorming sammelte ich gemeinsam mit der Klasse deren Assoziationen zu Afrika. Hierbei bestätigte sich das, was ich erwartet hatte: „In Afrika sind die Menschen arm.“, „Dort leben Raubkatzen und Elefanten.“ oder „Die Menschen müssen alle hungern.“, so die ersten Antworten der Kinder.

Ebenso befremdlich fanden die Kinder die Vorstellung, sich mit „Müll“ zu beschäftigen und ihr eigenes Spielzeug aus jenen Materialien anzufertigen, die sie normalerweise wegwerfen würden. In der Regel kaufen sie ihr Spielzeug in Geschäften, immer das neuste und schönste aus der Werbung, wie die meisten mir mitteilten. Entsprechend hilflos reagierten die Kinder gegenüber den Materialien, die ihnen zur Verfügung standen, wie etwa Kronkorken, alte Drahtreste, Shampooflaschen, Konservendosen, Pappkartons oder Stoffreste, und das gesamte Projekt startete zunächst recht schleppend. Es fehlte auch an kreativen und Ideen für phantasievolle Objekte.

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Das Foto zeigt Nina Paarmann zusammen mit einer Schülerin der 4. Klasse in Schleswig-Holstein (2012) bei der Erstellung eines aus Reststoffen gefertigten Spielzeuges.

 

Erst nach einiger Zeit entstand ein Anreiz durch Fotos und Abbildungen jener Spielzeuge, die ich ihnen von der „Global Players“ Ausstellung beispielhaft zur Ideenfindung zeigte. Mehr und mehr begannen die Schülerinnen und Schüler mit der Erstellung Objekte. Nach anfänglichem Zögern dann brach die Blockade gegenüber dem für wertlos erachteten Material und es entstanden ganz liebevoll und individuell gefertigte Spielzeuge, die es so in keinem Geschäft zu kaufen gab.

Am zweiten Tag meines Projektes (eine Woche später) überraschen mich die Kinder schon vor Schulbeginn mit neuen, zusätzlich Zuhause gebastelten Objekten, die sie gemeinsam mit Eltern und/ oder Großeltern angefertigt hatten. Alle waren hochmotiviert und voller phantasievoller Ideen, die aufgrund der Fülle an Ideen zeitlich nicht innerhalb des Projektes umsetzbar waren.

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Fazit

Es war interessant zu beobachten, dass die Objekte der Grundschüler in Schleswig-Holstein denen der afrikanischen Kinder sehr stark ähnelten. Ebenso, wie die Mädchen und Jungen des anderen Kontinents, fertigten auch die Kinder hier überwiegend phantasievolle Spielzeuge an, welche den Traum der Ferne wiederspiegelten: Traumautos,- flugzeuge, -heißluftballos oder –lokomotiven machten den überwiegenden Anteil der Ideen und deren Umsetzungen aus. Dabei waren sie möglicherweise den Anregungen gefolgt. Dennoch, so schien mir, versuchten sie ebenfalls sich den afrikanischen Kindern anzunähern und deren Lebenswelten durch die Ähnlichkeit der Spielzeuge nachzuvollziehen.

Die ursprüngliche Idee, die gebastelten Spielzeuge zu verkaufen und den Erlös einem guten Zweck zukommen zu lassen, ließ sich (leider) nicht realisieren; keines der Kinder war auch nur ansatzweise dazu bereit, die schönen selbstgefertigten Objekte herzugeben.

In einem abschließenden gemeinsamen Fazit erzählten die Kinder, wie viel Spaß ihnen dieses Projekt bereitet hat und kamen selbst zu dem Schluss, dass „anders“ nicht immer schlecht sein muss.

(Text, Layout und Fotos Nina Paarmann)

 

Verweise:

[1] Gemeinsam für Afrika (Hg.): Global Players. Spielzeug aus Afrika. (Katalogbund zur Wanderausstellung) Baden Baden 2009.

[2]  Wolfgang Jaman: Afrika – ein besonderer Kontinent. In: Gemeinsam für Afrika (Hg): Global Players. Spielzeug aus Afrika. (Katalog zur Ausstellung). Baden-Baden 2009, S. 3.

[3]  Birgit Virnich: Global Players. Kinderträume aus Draht. In: Gemeinsam für Afrika (Hg): Global Players. Spielzeug aus Afrika. (Katalog zur Ausstellung). Baden-Baden 2009, S. 5

[4]  Birgit Virnich: Global Players – Spielzeug aus Afrika. Gefunden unter: http://www.gemeinsam-fuer-afrika.de/was
-wir-tun/global-players/
, abgerufen am: 25.08.2014.

[5]  Vgl. Trashybags Backround. Gefunden unter: http://www.trashybags.org/background.htm, abgerufen am: 25.08.2014.

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