ASA-Foto-Stories 2016 – Fotos, Texte und Kurzfilme zum Thema Bewegungsfreiheit
https://asa.engagement-global.de/asa-foto-stories-2016.html
2. Platz: Hannah Schmitz, aufgenommen in Hoi An (Vietnam) im Dezember 2015
„Dieses Motiv ist mir an einer Straßenecke begegnet, an der ein Mann Zierfische zum Verkauf anbot. Die Fische waren entweder einzeln oder zusammen in Plastiktüten an eine Halterung seines Mopeds gebunden. Die unnatürliche Begrenzung des Lebensraums dieser Fische spiegelt für mich die Einschnitte der Mobilität wider, die viele Menschen hinnehmen müssen. Wie die Plastiktüten auf dem Bild, fungieren in der menschlichen Welt Staatsgrenzen und Nationalitäten als unsichtbare Grenzen. Auch andere Faktoren beschneiden die Bewegungsfreiheit von Individuen – sei es die eigene Gesundheit oder ökonomische Ressourcen – so dass Menschen in ihren eigenen Beschränkungen „gefangen“ sind. (Hannah Schmitz)
3. Platz: Stefanie Beßler, aufgenommen in La Paz (Bolivien) im Juli 2015
„Urbanes Landschaftsbild, geballtes Stadtzentrum, Hochhauslandschaft, architektonische Meisterwerke – das könnte die Beschreibung vieler europäischer Metropolen wie Frankfurt, Paris oder Madrid sein. Sie passt aber genauso gut zum unteren Drittel des Bildes, welches die Zona Sur von La Paz in Bolivien zeigt. Etliche moderne Hochhauskomplexe, Bürogebäude und eine riesige Shoppingmall reihen sich entlang bepflanzter Boulevards.
Diese Realität ist jedoch nicht der erste Eindruck, den man aus Reiseführern und von gängigen Reiseberichten über Bolivien oder La Paz bekommt. Darin werden oftmals die Salzwüste, kargen Steppenlandschaften und die typische „Cholitas“ propagiert. Natürlich ist das auch ein Teil des Landes oder der Stadt, aber eben nicht nur. Diese einseitige Darstellung reproduziert vorgefertigte Bilder, was auch bei der Auseinandersetzung mit diesem Stadtbild klar wird.
Vordergründig dienen die gespannten Drahtseile im Vordergrund der öffentlichen Verkehrsverbindung zwischen der höhsten Ebene der Stadt auf über 3800 bis 250 Höhenmetern weiter hinunter in die Zona Sur. Im unteren rechten Bildrand lassen sich Gondelkabinen der Telefèrico entdecken – die Seilbahn von La Paz. Sie verbindet die verschiedenen Stadtteile miteinander und soll den Pancenos und Pancenas die Fortbewegung erleichtern. Doch trotz der allgemeinen Zugänglichkeit durch erschwingliche Preise, beschränkt sich das Prestige-Projekt des Präsidenten Evo Moralen auf die geographische Mobilität der Menschen. Tiefgründiger betrachtet, ist das Leben in der wärmeren Zona Sur der bolivianischen Oberschicht vorbehalten. Somit kann der räumliche Abstieg aus den höheren Stadtvierteln und dem als „Armenviertel“ bezeichneten El Alto als soziale Vergegenwärtigung der gesellschaftlichen Abgrenzung interpretiert werden.
Dieses Bild ist im Rahmen meines ASA-Aufenthalts 2015 in La Paz bei einer Fahrt in der Teleférico-Seilbahn entstanden. Die Seilbahn ist als Tourismusattraktion in zahlreichen Reiseführern beschrieben, da sie wunderschöne Aussichten auf die einzigartige Topographie der Stadt bietet. Dass die Seilbahn zugleich Sinnbild für räumliche und soziale (Im-)Mobilität, wird oft nicht sofort bewusst wahrgenommen.“ (Stefanie Beßler)
2. 3. Platz: Lisa Wagner, aufgenommen in Manila (Philippinen)
Das Mittagessen mit den Kollegen ist vorbei, ich räume das Geschirr in die Küche. In einer halben Stunde kommen die Kids, die Afternoon Class, 35 Mädchen und Jungen zwischen 2 und 5 Jahren, die hier die Vorschule besuchen. Die Küche liegt genau über dem Klassenraum, in dem ich jeden Tag die beiden Lehrkräfte unterstütze. Unsere Schule wird finanziert von einer kleinen, philippinischen NRO, die Familien der Kinder müssen keinerlei Geld für den Unterricht, die Materialien oder die Schuluniform bezahlen. Sie liegt mittendrin in dem Teil Metro Manilas, der weithin als „Slum“ bekannt ist, in Balut, im Stadtteil Bondo. In meinem Rücken, auf der anderen Seite des Gebäudes, rauscht in diesem Moment der Smokey Mountain, nach dem die Gegend hier benannt ist. Er raucht je nachdem, wie der Wind sich dreht, direkt in meine Klasse, die keine Fensterscheiben mehr hat. Es ist ein Berg aus Müll, wortwörtlich, die ehemalige städtische Müllkippe. Aber jetzt, in der Regenzeit, ist er über und über bewachsen, oben auf dem Berg stehen kleine Häuser. Ein erstaunlich grüner Fleck in dieser Gegend Manilas und man gewöhnt sich an ihn. Beim Blick aus dem Fenster in der Küche bedeutet die Regenzeit, dass eventuell wieder ein Zuhause einer Familie weggespült wurde. Viele unserer Kids wohnen dort. Im Hintergrund sieht man einen Teil Metro Manilas, der aus hohen, glitzernden Glasgebäuden besteht.
Irgendwo dazwischen – nicht nur geographisch gesehen – wohnen mein Tandempartner und ich, in Dimasalang, einem Stadtteil, der für die Eltern unserer Kids erstrebenswert, für die Taxifahrer aus Makati ein no-go ist. Heute nach der Arbeit treffe ich eine Freundin aus Deutschland, die für drei Monate in Makati, dem Wissenschaftszentrum der Philippinen, in der deutschen Botschaft arbeitet. Ich fahre mit der Bahn, sie verbindet, ohne anzuhalten, beide Stadtteile. Einmal stand mein Kollege hier oben neben mir in der Küche, er zeigte durch das Loch im Fliegenschutzgitter nach draußen, in die Ferne: „One day I live there, when I am a rich man.“ Seitdem frage ich mich, ob der das Loch in das Gitter geschnitten hat, um besser raussehen zu können. Er beneidet mich um die Freiheit, mit der ich mich bewege, zwischen Manilas Stadtteilen, zwischen den philippinischen Inseln, auf denen ich in den Schulferien Urlaub gemacht habe, zwischen hier und Zuhause, zwischen den Kontinenten, zwischen den Kontinenten, den Welten. Jeden Tag schaue ich hier raus, aus diesem Schulgebäude, welches ein Symbol sein soll für einen ersten Schritt für die Kids, sich irgendwann, eines Tages, ebenso frei bewegen zu können, von hier weg, bis nach dahinten, zu den Hochhäusern. Ich frage mich immer, was sie da sollen, ganz allein, ohne ihre Familien.“ (Lisa Wagner)