ASA-Fotostories 2016

ASA-Foto-Stories 2016 – Fotos, Texte und Kurzfilme zum Thema Bewegungsfreiheit

 
https://asa.engagement-global.de/asa-foto-stories-2016.html

 

Als guter Abschluss von 2016 erschienen die Ergebnisse der ASA-Foto-Stories des Jahres im Netz. Was ist das?

 

Das ASA-Programm (https://asa.engagement-global.de/) ist die älteste und erfahrenste Organisation, die Studierende in Länder des Globalen Südens schickt; es entstand aus studentischer Initiative: die ersten ASA-Gruppen reisten in den Sechziger Jahren nach Afrika, Asien und Lateinamerika. Bei dem Deutschland-Besuch von John F. Kennedy 1963 wurde ein Gespräch zwischen ihm und ASAten*innen organisiert, da man dem amerikanischen Präsidenten junge Deutsche mit vorbildlich internationalem Niveau präsentieren wollte. Aufgrund der Erfahrungen mit diesen Reisen wurde das Programm inzwischen auf unterschiedlichen Ebenen erweitert: neben der professionellen Vorbereitungsphase spielt dabei vor allem auch die Nachbereitung und Einbindung nach der Rückkehr eine besondere Rolle. Dazu gehört die Dokumentation und (kollektive) Reflektion über die Reise zur Einordnung der mentalen Eindrücke sowie auch eine Auswertung des mitgebrachten Materiales.

 

Seit einigen Jahren wird dazu ein ASA-Fotowettbewerb ausgeschrieben, der unter einem bestimmten Motto steht bzw. ein Schlagwort oder mehrere Schlüsselthemen vorgibt, die multidimensional erschlossen werden sollen. Deutlich ist schon im Titel des Wettbewerbes die narrative Komponente: es wird eine Geschichte „erzählt“, die man selber erlebt hat; ein Dialog findet statt: sowohl mit den Dargestellten als auch mit den Rezipierenden. Vor allem der/die Einsendende selbst durchdenkt im Nachhinein die Situation, kommentiert und kontextualisiert in Sprache und Bild das festgehaltene Motiv aus der Erinnerung und in der Distanz der Gegenwart: eine Kommunikation auf verschiedenen Ebenen findet statt, in die unterschiedliche Perspektiven einfliessen. Auch verschiedene mediale Wege sind möglich, um diese Aktivität der Kommunikation zwischen den Kulturen auch „materiell“ zu dokumentieren, damit festzuhalten und für andere erfügbar zu machen. Die Anworten zu dem vorgegebenen Basisthema konnten 2016 in Form von kommentierten Fotos, Filmen, Gedichten oder anderen Texten eingereicht werden.

 

ASAte bzw. ASAtin ist man ein Leben lang. Seit ich 1972 selber als Studentin der Universität Köln mit dem ASA-Programm für drei Monate nach Westafrika fuhr, bin ich dem ASA verbunden. Zunächst als Vorbereitungsreferentin für ausreisende Studierendengruppen, dann als Professorin, die ihren eigenen Studierenden Erfahrungen in Afrika ermöglichte und sie dabei begleitete, und seit einigen Jahren auch als Mitglied der Jury der ASA-Foto-Stories. Zur Jury gehören Personen aus den verschiedensten Bereichen.

 

Der diesjährige Wettbewerb stand unter dem Oberbegriff „Bewegungsfreiheit“, mit dem ein breiter Raum eröffnet wurde, um die regionalen, inhaltlichen, symbolischen Bedeutungen von (selbstbestimmter) individueller und kollektiver Mobilität zwischen den Welten auszuleuchten. Die Jury kommentiert die Produkte anhand eines vorgegebenen Leitfadens und trifft eine Vorauswahl; die Entscheidung über die gelungensten Ergebnisse ist den Studierenden vorbehalten. Die Auswahl fällt schwer, denn alle Arbeiten enthalten ja einen besonderen „Sinn“ für die Person, die sie einreicht. Daher werden viele der Antworten veröffentlicht.

 

 

Aufgrund dieser Anregung der ASA-Foto-Stories fand an der Europa-Universität Flensburg 2014 angesichts der Anwesenheit unseres Gastprofessors aus Ghana, Prof. Yaw Ofosu-Kusi , mit ihm ein Medien-workshop statt, in dem unter Anleitung eines professionellen und afrikaerfahrenen Filme-Machers mit den nach Ghana ausreisenden Studierenden Filme hergestellt und diskutiert wurden, mit denen die Studierenden sich in Ghana vorstellen wollten. Die ASA-Foto-Stories dienten dabei als Beispiel für eine Diskussion über den kultursensiblen Einsatz von Medien in der interkulturellen Arbeit.

 

Hier die best platzierten der diesjährigen ASA-Foto-Stories Ausschreibung zum Theme „Bewegungsfreiheit“:

 

1. Andreas Demler: „Bewegungsfreiheit“, aufgenommen in Limache (Chile) im November 2015

 

Zwei Männer sitzen sich in einem spartanisch eingerichteten Raum an einem Tisch gegenüber, zwischen ihnen ein Laptop. Der Mann links im Bild hat Dreadlocks und Bart und schaut direkt in die Kamera, während der junge Mann rechts im Bild nur halb zu sehen ist und ihn aufmerksam anschaut. Das Bild scheint die Momentaufnahme eines intensiven Gesprächs zu sein.

 

„Brujia, ein chilenischer Systemkritiker, der sein derzeitiges Denken und Handeln der Hinterfragung von Privilegien und Machtstrukturen widmet.  Durch intime Einblicke in sein (Innen-)Leben versucht er, zu reflektieren und Auseinandersetzung mit Kapitalismus, Klassismus und Kolonialismus anzuregen. Obwohl er (m)eine okzidentale Herkunft samt Kultur, Strukturen und Werten grundsätzlich ablehnt, nimmt er proaktiv Kontakt zur westlichen Welt auf und lädt zum Austausch auf Augenhöhe ein. In der abgelichteten Situation spricht er mit meinem Tandempartner und mir über (s)einen nachhaltigen Weg, sich etwas finanzielle Bewegungsfreiheit zu schaffen: dem Lehmbau. Das Gespräch schweift von Permakultur über Autokonstruktion hin zu seiner Vision: durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit um den Naturwerkstoff eine nachhaltige, finanzielle Existenzgrundlage schaffen, um sich so für das alltägliche ‚Überdierundenkommen‘ stark und für seine Ansichten mobil machen zu können.
Langsam glaube ich seine Realität zu verstehen und spüre, dass er sich nicht nur seiner, sondern vor allem auch meiner Bewegungsfreieheit weitaus bewusster ist, als ich selbst: Einer Wirklichkeit mit mehr Privilegien und weniger Hürden. Allein die Möglichkeit in seiner Küche sitzen und an diesem Gespräch teilhaben zu können führt mir die Privilegien meiner Herkunft und die damit einhergehenden, quasi uneingeschränkten und fast selbstverständlichen Freiheiten meines deutschen Passes vor Augen. Nur: Nutze ich sie verantwortungsbewusst und weise?“ (Andreas Demler)

 
2. Platz: Hannah Schmitz, aufgenommen in Hoi An (Vietnam) im Dezember 2015
 

Das gesamte Bild ist ausgefüllt mit kleinen aufgeblähten durchsichtigen Plastiktüten, die zur Hälfte mit Wasser und einem Algenblatt gefüllt sind. In jeder Tüte schwimmen ein oder mehrere Goldfische. Sie haben gerade einmal Platz um sich in der Tüte zu wenden.

 
„Dieses Motiv ist mir an einer Straßenecke begegnet, an der ein Mann Zierfische zum Verkauf anbot. Die Fische waren entweder einzeln oder zusammen in Plastiktüten an eine Halterung seines Mopeds gebunden. Die unnatürliche Begrenzung des Lebensraums dieser Fische spiegelt für mich die Einschnitte der Mobilität wider, die viele Menschen hinnehmen müssen. Wie die Plastiktüten auf dem Bild, fungieren in der menschlichen Welt Staatsgrenzen und Nationalitäten als unsichtbare Grenzen. Auch andere Faktoren beschneiden die Bewegungsfreiheit von Individuen – sei es die eigene Gesundheit oder ökonomische Ressourcen – so dass Menschen in ihren eigenen Beschränkungen „gefangen“ sind. (Hannah Schmitz)
 
3. Platz: Stefanie Beßler, aufgenommen in La Paz (Bolivien) im Juli 2015
 
Eine Großstadt, die umgeben von Bergen größtenteils in einem Tal liegt, wird aus der Perspektive einer Seilbahngondel abgebildet. Im Vordergrund des Bildes: Seile und einzelne Gondeln.
 
„Urbanes Landschaftsbild, geballtes Stadtzentrum, Hochhauslandschaft, architektonische Meisterwerke – das könnte die Beschreibung vieler europäischer Metropolen wie Frankfurt, Paris oder Madrid sein. Sie passt aber genauso gut zum unteren Drittel des Bildes, welches die Zona Sur von La Paz in Bolivien zeigt. Etliche moderne Hochhauskomplexe, Bürogebäude und eine riesige Shoppingmall reihen sich entlang bepflanzter Boulevards.
 
Diese Realität ist jedoch nicht der erste Eindruck, den man aus Reiseführern und von gängigen Reiseberichten über Bolivien oder La Paz bekommt. Darin werden oftmals die Salzwüste, kargen Steppenlandschaften und die typische „Cholitas“ propagiert. Natürlich ist das auch ein Teil des Landes oder der Stadt, aber eben nicht nur. Diese einseitige Darstellung reproduziert vorgefertigte Bilder, was auch bei der Auseinandersetzung mit diesem Stadtbild klar wird.
 
Vordergründig dienen die gespannten Drahtseile im Vordergrund der öffentlichen Verkehrsverbindung zwischen der höhsten Ebene der Stadt auf über 3800 bis 250 Höhenmetern weiter hinunter in die Zona Sur. Im unteren rechten Bildrand lassen sich Gondelkabinen der Telefèrico entdecken – die Seilbahn von La Paz. Sie verbindet die verschiedenen Stadtteile miteinander und soll den Pancenos und Pancenas die Fortbewegung erleichtern. Doch trotz der allgemeinen Zugänglichkeit durch erschwingliche Preise, beschränkt sich das Prestige-Projekt des Präsidenten Evo Moralen auf die geographische Mobilität der Menschen. Tiefgründiger betrachtet, ist das Leben in der wärmeren Zona Sur der bolivianischen Oberschicht vorbehalten. Somit kann der räumliche Abstieg aus den höheren Stadtvierteln und dem als „Armenviertel“ bezeichneten El Alto als soziale Vergegenwärtigung der gesellschaftlichen Abgrenzung interpretiert werden.
 
Dieses Bild ist im Rahmen meines ASA-Aufenthalts 2015 in La Paz bei einer Fahrt in der Teleférico-Seilbahn entstanden. Die Seilbahn ist als Tourismusattraktion in zahlreichen Reiseführern beschrieben, da sie wunderschöne Aussichten auf die einzigartige Topographie der Stadt bietet. Dass die Seilbahn zugleich Sinnbild für räumliche und soziale (Im-)Mobilität, wird oft nicht sofort bewusst wahrgenommen.“ (Stefanie Beßler)
 
2. 3. Platz: Lisa Wagner, aufgenommen in Manila (Philippinen)
 
Das Bild wurde hochkant aufgenommen und zeigt den Blick durch das kaputte Gitter eines Fensters auf einen Fluss, an dessen gegenüberliegendem Ufer sich aus allerlei Material zusammengebastelte Slumhütten aneinander reihen. Dahinter zeichnet sich am Horizont die Skyline einer Großstadt ab. Im Vordergrund sieht man unscharf und dunkel den Fensterrahmen und das kaputte Gitter.
 
Das Mittagessen mit den Kollegen ist vorbei, ich räume das Geschirr in die Küche. In einer halben Stunde kommen die Kids, die Afternoon Class, 35 Mädchen und Jungen zwischen 2 und 5 Jahren, die hier die Vorschule besuchen. Die Küche liegt genau über dem Klassenraum, in dem ich jeden Tag die beiden Lehrkräfte unterstütze. Unsere Schule wird finanziert von einer kleinen, philippinischen NRO, die Familien der Kinder müssen keinerlei Geld für den Unterricht, die Materialien oder die Schuluniform bezahlen. Sie liegt mittendrin in dem Teil Metro Manilas, der weithin als „Slum“ bekannt ist, in Balut, im Stadtteil Bondo. In meinem Rücken, auf der anderen Seite des Gebäudes, rauscht in diesem Moment der Smokey Mountain, nach dem die Gegend hier benannt ist. Er raucht je nachdem, wie der Wind sich dreht, direkt in meine Klasse, die keine Fensterscheiben mehr hat. Es ist ein Berg aus Müll, wortwörtlich, die ehemalige städtische Müllkippe. Aber jetzt, in der Regenzeit, ist er über und über bewachsen, oben auf dem Berg stehen kleine Häuser. Ein erstaunlich grüner Fleck in dieser Gegend Manilas und man gewöhnt sich an ihn. Beim Blick aus dem Fenster in der Küche bedeutet die Regenzeit, dass eventuell wieder ein Zuhause einer Familie weggespült wurde. Viele unserer Kids wohnen dort. Im Hintergrund sieht man einen Teil Metro Manilas, der aus hohen, glitzernden Glasgebäuden besteht.
 
Irgendwo dazwischen – nicht nur geographisch gesehen – wohnen mein Tandempartner und ich, in Dimasalang, einem Stadtteil, der für die Eltern unserer Kids erstrebenswert, für die Taxifahrer aus Makati ein no-go ist. Heute nach der Arbeit treffe ich eine Freundin aus Deutschland, die für drei Monate in Makati, dem Wissenschaftszentrum der Philippinen, in der deutschen Botschaft arbeitet. Ich fahre mit der Bahn, sie verbindet, ohne anzuhalten, beide Stadtteile. Einmal stand mein Kollege hier oben neben mir in der Küche, er zeigte durch das Loch im Fliegenschutzgitter nach draußen, in die Ferne: „One day I live there, when I am a rich man.“ Seitdem frage ich mich, ob der das Loch in das Gitter geschnitten hat, um besser raussehen zu können. Er beneidet mich um die Freiheit, mit der ich mich bewege, zwischen Manilas Stadtteilen, zwischen den philippinischen Inseln, auf denen ich in den Schulferien Urlaub gemacht habe, zwischen hier und Zuhause, zwischen den Kontinenten, zwischen den Kontinenten, den Welten. Jeden Tag schaue ich hier raus, aus diesem Schulgebäude, welches ein Symbol sein soll für einen ersten Schritt für die Kids, sich irgendwann, eines Tages, ebenso frei bewegen zu können, von hier weg, bis nach dahinten, zu den Hochhäusern. Ich frage mich immer, was sie da sollen, ganz allein, ohne ihre Familien.“ (Lisa Wagner)